Anonymisierungsleitfaden

Open Data und Datenschutz

Autorin: Dr. Saskia Ostendorff
Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Der vorstehende Leitfaden ersetzt keine Rechtsberatung. Es ist lediglich eine Handlungsempfehlung ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Haftung ist ausgeschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Ziel des Leitfadens

Der vorliegende Leitfaden gibt einen Überblick zur Anonymisierung von amtlichen Werken, insbesondere Urteile damit diese als Open Data veröffentlicht werden können.

Dem Leitfaden liegen die Erkenntnis der bisherigen Praxis zu Grunde, sowie die gesetzlichen Vorgaben der DSGVO und des BDSG. Auf landesrechtlicher Ebene wird sich auf das Berliner Datenschutzgesetz fokussiert.

Der Leitfaden wird für ein besseres Verständnis zunächst auf die Begrifflichkeiten Anonymisierung, Pseudonymisierung und Differential Privacy eingehen und im Anschluss die juristischen Notwendigkeiten erklären. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung und dem Ziel eines deutschlandweiten eGovernance ist das Bedürfnis nach Transparenz mit dem Datenschutz der personenbezogenen Daten in Einklang zu bringen. Besonders interessant ist die Frage nach der Erforderlichkeit der Anonymisierung von Gerichtsentscheidung zum Zwecke der Veröffentlichung, oder die Schwärzung bestimmter Passagen bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen. Das zunehmende Informationsbedürfnis der Bürger*innen erfordert ein Konzept zum Schutz personenbezogener Daten, ohne die Demokratisierung von Daten zu verhindern, es sei denn besondere Interessen stehen der Zugänglichkeit von Verwaltungsdaten entgegen.

Der öffentliche Sektor stellt mit den vorhandenen Informationen eine außergewöhnliche Datenquelle dar1.

Das Ziel dieses Leitfadens ist es eine Empfehlung für die öffentliche Verwaltung zur Verfügung zu stellen, die ein erfolgreiches Open-Data der öffentlichen Verwaltung ermöglicht. Dazu wurde im Rahmen des Prototypfunds das Anonymisierungstools – OpenRedact – entwickelt, welches eine Möglichkeit aufzeigen soll, wie die öffentliche Verwaltung mit Hilfe von teil-automatisierten Anonymisierungstechniken Transparenz unter Wahrung des Datenschutzes schaffen kann. Hintergrund der Erforderlichkeit von Anonymisierungstechniken ist das Bestreben der Europäischen Union die Mitgliedstaaten zu ermutigen, „dem Grundsatz „konzeptionell und standardmäßig offen" (open by design and by default) für alle Dokumente, die in den Anwendungsbereich der Open-Data Richtlinie fallen, zu fördern.&quot2;

Trotz dessen ist der Schutz personenbezogener Daten eine unverzichtbare Pflicht. Inwieweit man der Forderung nach Open Data und Datenschutz nachkommen kann, zeigt der hiesige Leitfaden.

Begriffe

Die Unkenntlichmachung von personenbezogenen Daten kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen: Anonymisierung, Pseudonymisierung und durch sog. Differential Privacy. Der Sinn und Zweck der verschiedenen Arten von Techniken ermöglicht die Verschleierung bis hin zur Unkenntlichmachung von personenbezogenen Daten und schafft damit einen Ausgleich zwischen Open-Data und Datenschutz.

Personenbezogene Daten

Bei personenbezogenen Daten handelt es sich nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO um alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person") beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

Die DSGVO wird dem öffentlichen Interesse gerecht, dass der Zugang zu amtlichen Dokumenten bei Behörden oder öffentlichen Stellen ermöglicht werden soll, wobei der Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gegeneinander abgewogen werden muss. 3

In Einzelfällen kommt es zur Verarbeitung personenbezogener Daten, die gleichzeitig dem öffentlichen Interesse dienen, wie beispielsweise zu Archivzwecken im öffentlichen Interesse, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken. Unabhängig davon gilt auch in diesem Zusammenhang der Grundsatz der Datensparsamkeit.

Die DSGVO fordert, dass die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten zu im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken nur erfolgen darf, wenn eine Pseudonymisierung von personenbezogenen Daten garantiert werden kann. Die Mitgliedstaaten sind gefordert, einen geeigneten Rechtsrahmen zu schaffen, wonach Präzisierungen und Ausnahmen in Bezug auf die Informationsanforderungen sowie der Rechte auf Berichtigung, Löschung, Vergessenwerden, zur Einschränkung der Verarbeitung, auf Datenübertragbarkeit sowie auf Widerspruch bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecken, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken gewährleistet werden.

Fraglich ist, welche Methoden tatsächlich die effektivsten für die Gewährleistung vor der Identifizierbarkeit einer Person bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen und der Veröffentlichung von Urteilen sein können.

Differential Privacy

Der Begriff der Differential Privacy bezeichnet ein technisches Werkzeug, welches garantiert, dass das Ergebnis einer bestimmten Datenbankabfrage nur durch die Gesamtheit der gesammelten Datensätze, nicht aber durch die spezifischen Daten einzelner Personen beeinflusst wird. Es wird also sichergestellt, dass die zur Beantwortung einer bestimmten Anfrage genutzten Datensätze nicht eindeutig identifiziert werden können bzw. nicht rückverfolgbar sind. Insbesondere im Kontext von Öffentlichmachung statistischer Informationen ist Differential Privacy ein wichtiges Werkzeug, um die Privatsphäre Einzelner zu wahren, gleichzeitig aber die Zugänglichmachung öffentlich relevanter Datensätze nicht unnötig einzuschränken, sowie die Genauigkeit der Anfrageergebnisse zu maximieren. 4

Pseudonymisierung

Nach Art. 4 Nr. 5 DSGVO ist unter der „Pseudonymisierung" die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise zu verstehen, dass die personenbezogenen Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können, sofern diese zusätzlichen Informationen gesondert aufbewahrt werden und technischen und organisatorischen Maßnahmen unterliegen, die gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten nicht einer identifizierten oder identifizierbaren natürlichen Person zugewiesen werden.

Beispiel: Untermietvertrag zwischen Wunderlich GmbH, 10000, Wunderlichstr. 10, vertreten durch die Geschäftsführerin B. und der Steuerberaterin S. in 10000, Wunderlicherstr. 10.

Anonymisierung

Nach Art. 2 Nr. 7 Open-Data Richtlinie, bezeichnet der Begriff „Anonymisierung" den Prozess, in dessen Verlauf Dokumente in anonyme Dokumente umgewandelt werden, die sich nicht auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, oder personenbezogene Daten so anonym gemacht werden, dass die betroffene Person nicht oder nicht mehr identifiziert werden kann. Aus technischer Sicht zählt die Anonymisierung zu den sichersten Methoden, da die personenbezogenen Daten vollständig zerstört werden.

Beispiel: Untermietvertrag zwischen XXXXX, XXXXX, XX, vertreten durch die XXXX, und XXXX in XXXXXXX.

Open-Data und Datenschutz

Open-Data steht für Daten in einem offenen Format, die von allen zu jedem Zweck frei verwendet, weiter verwendet und weitergegeben werden können. 5 Diesem Grundsatz steht jedoch der Datenschutz entgegen, dessen oberstes Ziel der Schutz personenbezogener Daten ist. Insoweit stehen Open-Data und Datenschutz zunächst augenscheinlich im Widerspruch.

Dieser Widerspruch lässt sich jedoch auflösen. Nach Art. 2 Nr. 7 Open-Data Richtlinie wird auf europarechtlicher Ebene deutlich, dass Open-Data nicht auf den Schutz von sensiblen Daten verzichten darf und zwar indem das Verfahren der Anonymisierung verwendet wird.

Informationsfreiheitsgesetzanfragen

Einen Anwendungsbereich für den Einsatz von Anonymisierungstechniken sind Informationsfreiheitsgesetzanfragen. Mit dem Einsatz von semi-automatisierten Anonymisierungstechniken könnten Informationsfreiheitsgesetzanfragen schneller und mit weniger Verwaltungsaufwand zur Verfügung gestellt werden.

Ablehnung einer Informationsfreiheitsgesetzanfrage wegen dem Schutz personenbezogener Daten, § 5 IFG

Der Anspruch auf Information gem. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG darf bei der gleichzeitigen Mitteilung von personenbezogenen Daten nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat (vgl. § 5 Abs. 1 IFG). Gem. § 5 Abs. 1 S. 2 ist die Übermittlung besonderer Arten personenbezogener Daten nur zulässig, wenn der Dritte ausdrücklich einwilligt. Das Informationsinteresse überwiegt dann nicht, wenn es um Dienst- oder Amtsverhältnisse, oder ein Berufs- oder Amtsgeheimnis vorliegt. 6

Ein Grund für die Ablehnung einer Informationsfreiheitsgesetzanfrage kann folglich aus datenschutzrechtlichen Gründen und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben sein. 7

Es stellt sich jedoch die Frage, ob aus dem erhöhten Informationsbedürfnis der Gesellschaft, die Anonymisierung der personenbezogenen Daten in den Fällen, in denen aus diesem Grund eine Ablehnung erfolgt, für eine gesteigerte Transparenz der öffentlichen Verwaltung sorgen kann.

Eine Ablehnung kann nicht auf § 5 Abs. 3 IFG gestützt werden, wenn sich die Angabe im Rahmen der Informationsfreiheitsanfrage auf Name, Titel, akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer beschränkt und der Dritte als Gutachter, Sachverständiger oder in vergleichbarer Weise eine Stellungnahme in einem Verfahren abgegeben hat. Die Voraussetzungen müssen allerdings kumulativ vorliegen, sodass es sich hierbei um einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich handelt. Gleiches gilt gem. § 5 Abs. 4 für die Bearbeiter, soweit Name, Titel, akademischer Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer Ausdruck und Folge der amtlichen Tätigkeit sind und kein Ausnahmetatbestand erfüllt ist.

Anonymisierung und Pseudonymisierung von personenbezogenen Daten bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen

Es ist festzuhalten, dass eine Informationsfreiheitsgesetzanfrage, die ebenfalls Einblick in personenbezogene Daten geben kann, grundsätzlich abzulehnen ist und nur ausnahmsweise das Informationsinteresse überwiegt, wenn es sich um Stellungnahmen von Gutachtern, Sachverständigen oder ähnlichen handelt. Hierbei ist festzustellen, dass in diesem Fall die Gewährung des Informationsanspruchs die Ausnahme ist.

In der Regel wird hierbei die Anonymisierung von personenbezogenen Daten wie Namen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität nicht ausreichend sein. Abhängig von der Informationsfreiheitsgesetzanfrage wird im Zweifel der Bereich der personenbezogenen Daten betroffen sein. Der Begriff der personenbezogenen Daten ist sehr weit zu verstehen und umfasst gerade nicht nur den Namen und die Adresse einer natürlichen Person. 8 In der Folge ist die Frage der Anonymisierung bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen dann problematisch, wenn eine Anonymisierung der personenbezogenen Daten nicht ausreichend vorgenommen werden kann, weil damit die Information unbrauchbar wird

Fraglich ist, ob mit dem Mittel einer Pseudonymisierung ein anderes Ergebnis erzielt werden könnte. Inwieweit eine Pseudonymisierung zu einem sachgerechten Ergebnis kommen kann, wird vom Einzelfall abhängig sein. Im Grunde liegt jedoch ein Widerspruch zwischen Pseudonymisierung und Informationsinteresse, da bei der Pseudonymisierung gerade ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen gearbeitet wird, die nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können. In der Folge kommt es auf die Informationsfreiheitsanfrage an, ob eine Pseudonymisierung ein geeignetes Mittel darstellen kann, um einen Informationsanspruch zu gewähren. Diese Entscheidung müsste im Einzelfall vorgenommen werden. Als geeignetes Mittel für Informationsfreiheitsgesetzanfragen könnte ebenfalls Differential Privacy in Betracht kommen, da hierbei möglichst viele Informationen beibehalten werden und dennoch die Informationen über identifizierbare Personen geschützt werden.

Als die sicherste Methode zum Schutz personenbezogener Daten in Informationsfreiheitsgesetzanfragen scheint bislang die Anonymisierung zu sein.

Gerichtsurteile

Einen weiteren Einsatzbereich von semi-automatisierter Anonymisierung in der öffentlichen Verwaltung ist die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen bei denen ebenfalls personenbezogene Daten nicht veröffentlicht werden dürfen. Um die Veröffentlichungspraxis der Gerichtsverwaltung zu unterstützen, können mit Hilfe einer semi-automatisierten Anonymisierungstechnik personenbezogene Daten unkenntlich gemacht werden.

Veröffentlichung von Gerichtsurteilen

Bei der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen spielt die Anonymisierung personenbezogener Daten regelmäßig eine Rolle. Wenn Urteile veröffentlicht werden, sind es häufig die an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien, die Anonymität begehren. Im Rahmen der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen stellt sich die Frage in welchem Umfang die Anonymisierung zu erfolgen hat. Denn eigentlich sind die Gerichtsverhandlungen selbst gem. § 169 GVG öffentlich, es sei denn die Öffentlichkeit wird während einer Verhandlung ausgeschlossen. 9 Dieses Öffentlichkeitsprinzip geht über die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung hinaus und umfasst auch die Veröffentlichung von Urteilen. 10 Das bedeutet, die Öffentlichkeit ist bei Teilnahme an der Gerichtsverhandlung ohnehin informiert, um welche Parteien es sich in dem Rechtsstreit handelt. Nichtsdestotrotz werden die Namen der Beteiligten oder Orte bei veröffentlichten Gerichtsurteilen unkenntlich gemacht. Zunächst muss jedoch klar sein, wann eine gerichtliche Entscheidung veröffentlichungswürdig ist und wann der Veröffentlichung eines Urteils Interessen der Parteien entgegenstehen. Umstritten ist darüber hinaus, ob es überhaupt einer Anonymisierung aus den besagten Gründen der Öffentlichkeit des Prozesses überhaupt bedarf.

Publikationspflicht

Das Thema der Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen hat in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erlangt. Zu den gerichtlichen Entscheidungen gehören Urteile und Beschlüsse.

Die Publikationspflicht ist Ausdruck des Rechtsstaatsgebotes, Art. 20 Abs. 3 GG, einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot, Art. 20 Abs. 1 GG, und dem Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. 11 Nach der Rechtsprechung müssen gerichtliche Entscheidungen nur dann veröffentlicht werden, wenn diese veröffentlichungswürdig sind, 12 damit die Bürger*innen sich über die Rechtsentwicklung und die Anwendung der Gesetze informieren können. 13 Die Veröffentlichungswürdigkeit ist gegeben, wenn der/die Richter*in zu der Überzeugung gelangt, dass der Rechtsstreit von besonderer Bedeutung und von öffentlichem Interesse ist. Dabei ist die Auswahl vorrangig aus der Sicht des/r mit der Entscheidung befassten Richters*in bzw. Spruchkörpers zu treffen; diese „amtliche Auswahl" hat die Gerichtsverwaltung, um diejenigen Entscheidungen zu ergänzen, an deren Veröffentlichung ein erkennbares öffentliches Interesse besteht (BVerwG, NJW 1997, 2694, Rn. 29) 14 . Außerdem liegt eine Veröffentlichungswürdigkeit dann vor, wenn eine anonymisierte Urteilsabschrift angefordert wird.

Auch obergerichtliche Leitsatzentscheidungen sind grundsätzlich veröffentlichungswürdig (Rn. 92). 15 Sobald veröffentlichungswürdig, muss eine anonymisierte Fassung erstellt werden. Die Publikation von Gerichtsentscheidungen erfolgt durch verschiedene Landesdatenbanken, wobei kritisch anzumerken ist, dass die Einstellung der Gerichtsentscheidung nicht i.S.v. Open-Data erfolgt. Das OVG NRW vertritt sogar die Auffassung, dass der Publikationspflicht durch jedwede Veröffentlichungsformen nachgekommen werden kann, wie zum Beispiel durch Fachzeitschriften oder andere juristische Datenbanken. 16 An dieser Auffassung ist zu bemängeln, dass die Gerichtsentscheidungen häufig bei der Veröffentlichung in Fachzeitschriften oder anderen juristischen Datenbanken kostenpflichtig sind.

Inwieweit und auf welcher Anspruchsgrundlage die Bürger*innen einen Anspruch auf die Herausgabe einer anonymisierten Urteilsabschrift gelten machen können, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Festzuhalten bleibt, dass die Bürger*innen einen Anspruch auf die Herausgabe einer anonymisierten Urteilsabschrift haben.

Fraglich ist daher, wie die Urteile aufgrund der in den Urteilen enthaltenen personenbezogenen Daten anonymisiert werden können und ob Urteile überhaupt anonymisiert werden müssen.

Anonymisierung von Urteilen

Die Voraussetzung der Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung. Gerade im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit und bei Markenrechtsstreitigkeiten, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Veröffentlichung personenbezogener Daten.

Grundlage der Anonymisierung bieten sowohl die landesrechtlichen Datenschutzgesetze, sowie das BDSG und die DSGVO. Die Anwendbarkeit richtet sich nach dem streitigen Fall.

Wie umfassend eine Anonymisierung zu erfolgen hat ist eine Einzelfallentscheidung und Bedarf der Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen Informationsbedürfnis und informationelle Selbstbestimmung der beteiligten Parteien.

Generell lassen sich den datenschutzrechtlichen Anonymisierungsanforderungen dadurch genügen, dass im Rubrum die Parteien und ihre Vertreter gelöscht werden und im Tatbestand sowie in den Entscheidungsgründen lediglich der Anfangsbuchstabe von Namen oder Orten auftreten. 17 Es dürfen bei der anonymisierten Urteilsabschrift keine Rückschlüsse auf die Parteien möglich sein. Wenn es um Informationen geht, die über Personen und Orte hinausgehen, dann erfolgt eine Anonymisierung durch die Verallgemeinerung von Angaben, beispielsweise Informationen über das Einkommen oder Beruf.

Ganz konkret mit dem Anonymisierungsumfang befasst sich jüngst das OLG Frankfurt a.M.. In dem Rechtstreit ging es um die Veröffentlichung eines nach Ansicht der Antragstellerin nicht ausreichend anonymisierten Urteils wegen der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Marke und der Registernummer. Der Umfang der Anonymisierung wird grundsätzlich von dem Spruchkörper bestimmt, d.h. des/der Richter*in und ist abhängig von der Art und Gegenstand des Verfahrens. 18 Bei markenrechtlichen Streitigkeiten tritt die Besonderheit hinzu, dass im Markenrecht ohnehin dem Publizitätsgrundsatz einer Marke ein besonderer Stellenwert zukommt. Die Identität der Marke ist öffentlich, sodass eine Anonymisierung einer dargestellten Marke in einem Urteil sowie die Registernummer nicht erfolgen muss.

Es könnte eingewendet werden, dass bei Gerichtsprozessen, bei denen Gegenstand des Verfahrens ein Insolvenzverfahren ist, möglicherweise andere Kriterien heranzuziehen sind. Grundsätzlich findet die Publikationspflicht jedoch beschränkt auch auf Entscheidungen bei Insolvenzverfahren Anwendung. 19 Denn im Unterschied zu normalen Zivilprozessen gilt der Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 Abs. 1 GVG sowie die öffentliche Urteilsverkündung gem. § 173 Abs. 1 GVG nicht. 20 Hintergrund des Interesses an Entscheidungen in Insolvenzverfahren können beispielsweise wissenschaftliche Interessen sein, um einen Kommentar, eine Entscheidungsbesprechung oder ähnliches zu schreiben. Grundsätzlich darf nur der Beschlusstenor sowie die Berechnungsgrundlage veröffentlicht werden, nicht jedoch der festgesetzte Betrag über die Vergütung eines Insolvenzverwalters.

Teilweise wird in der Praxis bei der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen die Pseudonymisierung angewendet.

Notwendigkeit der Anonymisierung von Urteilen?

Nachdem die verschiedenen Methoden und Anwendungsbereich der Anonymisierung thematisiert wurden, stellt sich abschließend die Frage, ob bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen und bei der Veröffentlichung von Urteilen überhaupt anonymisiert werden muss, d.h. dürfen beispielsweise personenbezogene Daten die Gegenstand eines Urteils sind nicht veröffentlicht werden.

Es ist ein Unterschied im Hinblick auf das Erfordernis der Anonymisierung bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen und Gerichtsentscheidungen festzuhalten. Bei dem diskutablen Erfordernis der Anonymisierung von personenbezogenen Daten bei Urteilen lässt sich der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 GVG) der Anonymisierung entgegenhalten. So sind Gerichtsverhandlungen in der Regel öffentlich, d.h. die Öffentlichkeit erfährt in einer Gerichtsverhandlung ohne hin, wer Kläger und Beklagter, oder Angeklagter ist. In der Gerichtsverhandlung werden auch die Anschrift, Beruf und das Einkommen thematisiert. 21

Weshalb besteht dann die Notwendigkeit der Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen?

Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen geht zwar unter anderem aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz hervor, aber nicht nur. Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen ist ein Verwaltungsakt durch die Gerichtsverwaltung, welche selbst dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegen. Die Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen ist folglich Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, also der Rechtfertigung der Anonymisierung personenbezogener Daten bei Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Transparenz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zum einen ist die Anonymisierung durch den Datenschutz gerechtfertigt und zum anderen kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Anonymisierung fordern.

OpenRedact: Teil-Automatisierte Anonymisierung von Dokumenten

Das Open-Source Projekt OpenRedact bietet eine Prototypen-Applikation, die die teil-automatisierte Anonymisierung von Dokumenten ermöglicht. Mit der Applikation OpenRedact können personenbezogene Daten erkannt und teil-automatisiert anonymisiert, pseudonymisiert oder mit Hilfe von Differential Privacy angewendet werden. Das Ziel von OpenRedact ist die Stärkung von Open-Data im öffentlichen Sektor unter Beachtung des Datenschutzes.

In technischer Hinsicht werden beispielsweise personenbezogene Daten wie Namen, Adresse oder Geburtsdaten erkannt, und bei einer Anonymisierung mit „xxxx" ersetzt. Sobald das Dokument anonymisiert wurde bedarf es einer abschließenden händischen Überprüfung, ob tatsächlich alle relevanten personenbezogenen Daten anonymisiert wurden. Aus technischer Sicht zählt das Anonymisieren zu den sichersten Methoden, da jegliche personenbezogene Daten zerstört werden.

Fraglich ist jedoch, inwiefern die Nutzbarkeit der Daten durch das Anonymisieren noch gewährleistet ist, da wie bereits geschildert, jegliche personenbezogene Daten zerstört werden. Aus diesem Grund gibt es weitere Formen wie Pseudonymisierung und Differential Privacy, wobei gerade bei der statistischen Auswertung von Daten Differential Privacy hilfreich sein kann. OpenRedact zeigt demnach, dass es grundsätzlich technisch möglich ist, dass alle drei Techniken zur Anwendung kommen. Welche der Techniken verwendet wird, ist dann eine Frage des Sachverhaltes und der begehrten Auskunft.

OpenRedact zeigt beispielhaft wie eine teil-automatisierte Anonymsierungg in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden kann, beispielsweise bei Informationsfreiheitsgesetzanfragen oder bei der Veröffentlichung von Urteilen, indem personenbezogene Daten unkenntlich gemacht werden. Mit dem Einsatz einer Teil-Anonymisierungs-Applikation kann die öffentliche Verwaltung entlastet werden, weil keine händische Anonymisierung erfolgen muss. Sicherlich bleibt eine abschließende Überprüfung notwendig, jedoch kann die teil-automatisierte Anwendung die Transparenz von Behörden und Justiz erleichtern.

Hierbei kann positiv auf die bereits vorhandene Anwendung von Softwaresystemen von Schweizer Gerichten verwiesen werden, wobei besonders der erhebliche Zeitgewinn durch Anwendung einer automatisierten Software hervorzuheben ist. 22

Zusammenfassung: Handlungsempfehlung

Insgesamt ist festzustellen, dass die Methodik der Teil-Automatisierten-Anonymisierung ein wichtiges Instrument für die Gewährleistung von Transparenz der Verwaltung und Justiz ist. Ohne die Möglichkeit der Anonymisierung könnte auf der anderen Seite das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht gewahrt werden. Aus diesem Grund hat das Projekt OpenRedact gezeigt, dass es technische Applikationen gibt, die eine teil-automatisierte Lösung für die Anonymisierung von Dokumenten bietet und damit erheblich die Arbeitsprozesse in der Verwaltung vereinfachen kann. Mit OpenRedact kann der öffentliche Sektor gestärkt werden, Open-Data flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

Als Handlungsempfehlung für die Anonymisierung von Dokumenten sollte künftig über ein sog. Abstufungskonzept diskutiert werden, und zwar unabhängig von dem Einsatz einer teil-automatisierten Applikation. Empfehlenswert wäre eine Abstufung im Hinblick auf die begehrte Art und den Inhalt der Information auf horizontalen und vertikalen Ebenen. Denn eine pauschale Entscheidung „Für" oder „Gegen" eine Technik der Unkenntlichmachung wäre nicht sachgerecht. Eine sachgerechte Entscheidung, ob eine Anonymisierung, Pseudonymisierung oder Differential Privacy Anwendung findet ist abhängig von der begehrten Information. Aus diesem Grund kann OpenRedact ein Anwendungswerkzeug für die öffentliche Verwaltung sein, die die Arbeit erleichtert.

Daher sollte folgende Abstufung bei der Entscheidung berücksichtigt werden:

Auf horizontaler Eben ist zunächst zu differenzieren, ob die personenbezogenen Daten dem Sozialbereich, der Privatsphäre oder dem Intimbereich einer Person zugeordnet werden können. 23 Denn personenbezogene Daten im datenschutzrechtlichen Sinne sind auch Ausdruck der informationellen Selbstbestimmungen, wenn es um das zur Verfügung stellen von Informationen geht. 24 Aus diesem Grund liegt es auf der Hand das vom BVerfG entwickelte Sphären-Konzept der Sozialsphäre, Privatsphäre und der Intimsphäre anzuwenden. Hinzutreten sollte allerdings die Frage, welcher Inhalt die Information zur Verfügung stellt: Geht es bei der Information um Personen oder Sachverhalte der Zeitgeschichte? Geht es bei den Informationen um solche, die einem besonderen Geheimhaltungsinteresse unterliegen? Geht es bei den Informationen um einen Sachverhalt, der ohnehin öffentlich ist?

Aus diesen Gründen bedarf es nach der Einteilung auf horizontaler Ebene auf der vertikalen Ebene folgender nächster Schritte:

  1. Sofern die Information Auskunft über natürliche Personen zum Inhalt hat die dem Bereich der Zeitgeschichte zugeordnet werden kann,
  2. Sofern die Information, Vorgänge beinhaltet, an denen die identifizierbare Person im Rahmen der Öffentlichkeit teilgenommen hat oder teilnehmen wird;
  3. Sofern Informationen, die einem höheren öffentlichen Interesse dienen,

sind diese nur dann zu anonymisieren, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung für die identifizierbare Person zu befürchten ist. In jedem Fall sind die personenbezogenen Daten, insbesondere Namen, Wohnort, Adresse, Geburtsdatum zu anonymisieren, sofern es sich um natürliche Personen handelt, die nicht der Zeitgeschichte zugeordnet werden können. Für den Fall das Personen der Zeitgeschichte mit natürlichen Personen in einem Auskunftsbegehren zusammentreffen, sind die personenbezogenen Daten der natürlichen Person zu pseudonymisieren. Bei Personen der Zeitgeschichte sollte in jedem Fall der Name kenntlich sein.

Quellen

  1. Erwägungsgrund 9 – Richtlinie (EU) 2019/1024 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (im Folgenden: Open Data Richtlinie) 

  2. Erwägungsgrund 16 – Open-Data Richtlinie. 

  3. Erwägungsgrund 154 – EU-Verordnung 2016/679 – Datenschutz-Grundverordnung (Im Folgenden: DSGVO). 

  4. Nissim, K., Steinke, T., Wood, A., Differential Privacy: A Primer for a non-technical audience, S. 6 ff., 14.02.2018 Harvard University, https://privacytools.seas.harvard.edu/files/privacytools/files/pedagogical-document-dp_new.pdf, zuletzt abgerufen am: 10.08.2020. 

  5. Erwägungsgrund 16 – Open-Data Richtlinie. 

  6. Näher dazu siehe BVerwG, NVwZ 2015, 669, Rn. 18 ff.; VG Berlin Urt. v. 5.3.2019 – 2 K 230/17, BeckRS 2019, 20604, Rn. 19. 

  7. Brink/Polenz/Blatt, IFG, § 5 Rn., 8 ff.., 2017. 

  8. Siehe oben Legaldefinition in § 4 Nr. 1 DSGVO "(…) alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare person beziehen". 

  9. Vgl. §§170-172 GVG. 

  10. Knerr, G., JurPC Web-Dok. 73/2004, Abs. 13 - Die Namensnennung bei der Publikation gerichtlicher Entscheidungen. 

  11. BVerfG, Urteil vom 14. September 2015 - 1 BvR 857/15, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26.02.1997 - 6 C 3.96, Rn. 29.; BGH Beschluss vom 05.04.2017 - IV AR(VZ) 2/16 - zum Thema der Herausgabe von anonymisierten Urteilsabschriften; a.A. BGH 5 AR (Vs) 112/17 - Beschluss vom 20. Juni 2018 (OLG Schleswig). 

  12. BVerfG NJW 2015, 3708, BVerwGE 104, 105; BGH NJW 2017, 1819. 

  13. BVerwG, Urteil vom 26.02.1997 - 6 C 3.96, Rn. 29. 

  14. BVerwG, NJW 1997, 2694, Rn. 29. 

  15. BVerwG, NJW 1997, 2694, Rn. 92. 

  16. OVG NRW, Urteil vom 11.12.2019 – 4 A 68/17, Rn. 33. 

  17. VerwG Leipzig: Veröffentlichung unzureichend anonymisierter Urteile durch FG ist rechtswidrig (DStR 2016, 1606, 1608. 

  18. OLG Frankfurt a. M.: Anonymisierungsumfang bei Veröffentlichung markenrechtlicher Entscheidungen – Anonymisierung (GRUR-RR 2020, 64, 69). 

  19. OLG Frankfurt a.M. Veröffentlichung von Entscheidungen zur Vergütung des Insolvenzverwalter gegenüber Dritten, NZI 2019, 632. 

  20. Vgl. Kissel/Mayer, § 169 GVG Rn. 11. 

  21. Siehe auch Knerr, G., Die Namensnennung bei der Publikation gerichtlicher Entscheidungen, JurPC Web-Dok. 73/2004, Abs. 17ff. 

  22. Siehe dazu beispielhaft den Bericht in der Luzernerzeitung: https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/anonymisieren-zuger-gerichte-kuenftig-ihre-urteile-mit-einer-software-ld.1193906, zuletzt aufgerufen am 07.08.2020. 

  23. Anknüpfend an die Sphären-Theorie des BVerfG: BVerfGE, NJW 1973, 891; BVerfGE, NJW 1957, 297; BVerfGE, NJW 2000, 1021.. 

  24. Jarras/Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 42f., Rn. 53..